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Diese Analyse wurde für cnt-alliance.org erstellt und geschrieben, sowie dort am 1. Juni 2018 veröffentlicht.
Der Gegenwind aus Gesellschaft, Medien und Wirtschaft hat Angela Merkel und ihre Regierungsmannschaft während der vergangenen Monate vor der Wahl, den Koalitionsgesprächen und darüber hinaus immer wieder einmal ratlos wirken lassen. Ihr Satz nach den Wahlen im Herbst 2017 „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“ offenbarte noch eine gewisse Hilflosigkeit und Starrköpfigkeit der aktuellen Situation und dem Wandel gegenüber. Aber Angela Merkel ist eine intelligente, bedacht agierende Strategin und daher kommt es nicht von ungefähr, dass sie neben Andreas Scheuer als „Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur“ Dorothee Bär als Digitalstaatsministerin einsetzte. Das war ihr Zeichen an Bevölkerung und Wirtschaft „Ich habe verstanden“.
Wer sich mit StartUps, Unternehmen in Veränderungsprozessen, Bildungsinstituten und dem Management bei Mittelständlern unterhält, hört jedoch viele kritische Stimmen gegenüber diese Ernennung. Sie beginnen meist etwas polemisch, dass es für eine Digitalstaatsministerin nicht genüge Teil der Versuchsgruppe einer Studie zum Twitter-Verhalten von Politikern gewesen zu sein, um sich als Digitalstaatsministerin zu empfehlen. Substanzielle Voten sagen vor allem eines: Die Bundesregierung und im Besonderen Frau Bär haben überhaupt nicht verstanden, um was es bei der Digitalisierung eigentlich geht. Wenn Frau Bär von Flugtaxis schwadroniert zeigt dies vor allem, dass sie versucht durch abgesonderte Buzzwords Kompetenz zu vermitteln – mit bedingtem Erfolg, wie die durchwegs negativen Voten in den Social Media sehr deutlich aufzeigen.
Die Digitalisierung in der Lesart der Bundesregierung ist etwas Definiertes und Greifbares, wie beispielsweise die Installation eines bundesweiten Glasfasernetzes, die Ausrüstung der Schulen mit Tablet-PCs und das Vernetzen der Produktionsstätten unter Industrie 4.0. Einiges davon haben die fortschrittlicheren Länder in Europa schon längst und daher ist es sicherlich richtig, den Rückstand endlich aufholen zu wollen. Nur, den Stand der Entwicklung erreichen zu wollen ist kein gestalterischer, zukunftsgerichteter Akt, sondern nur der harte Kampf gegen das Zurückbleiben.
Es zeigt sich zudem, dass der von der Bundesregierung kommunizierte Begriff Digitalisierung viel zu kurz greift. Tatsächlich handelt es sich bei der aktuellen Entwicklung vielmehr um einen sozio-technologischen Wandel, der zudem mit einer immer höheren Geschwindigkeit abläuft. Die Digitalisierung ist dabei nur eine technologische Facette, wenn auch die Entscheidende. Viel wichtiger ist jedoch, dass der laufende sozio-technologische Wandel in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft umfassende Veränderungen bewirken wird und schon bewirkt hat. Der oft kolportierte Begriff „disruptiv“ beschreibt es perfekt: Der sozio-technologische Wandel ist tatsächlich ein „Auseinanderreißen“ der Strukturen auf vielen Ebene und Bereichen von Gesellschaft, Technologien, Wirtschaft und Politik. Indes, dieser komplexe Sachverhalt lässt sich weder mit einem Glasfasernetz noch mit Flugtaxis lösen. Da sollte schon deutlich mehr von der Regierung kommen, meinten alle Votanten gegenüber der CNT Alliance.
Wandel geschahen bislang von oben herab, im Besonderen die technischen Wandel: Zuerst wurden neue Technologien und Produkte im professionellen, militärischen und industriellen Umfeld angewandt. Vereinfachte und entsprechend billigere Varianten kamen dann später der gesamten Bevölkerung zu Gute. Typisches Beispiel sind die Antihaft-Beschichtungen von Pfannen, die zuerst für militärische Zwecke in Form von Dichtungen in Atombomben (und nicht wie oft erzählt in der Raumfahrt) zu Einsatz kamen, bevor sie weltweit die Küchen erobern konnten. Ein solcher Wandel „von oben herab“ lässt sich recht einfach kontrollieren und auch wirtschaftlich hervorragend nutzen.
Heute laufen besonders die technologischen Wandel jedoch meist umgekehrt, von unten nach oben, ab. Konsumenten erhalten – oftmals nicht ganz ausgereifte – Produkte einer neuen Technik oder Anwendung und erst später kommen diese dann im professionellen Umfeld zum Einsatz. Dabei geht es keinesfalls nur um Technologien, sondern ebenso um Applikationen, Dienstleistungen und Informationen. Die Sprachsteuerung beispielsweise hat es über das Auto, mit anfänglich äußerst entbehrlichen Implementationen, ins Wohnzimmer geschafft. Gerade Kinder kommandieren die Alexas, Siris, Googles und Cortanas dieser Welt mit einer Selbstverständlichkeit, dass so mancher Kinderpsychologe verzweifelt mit dem Mahnfinger zu fuchteln beginnt. Sprachsteuerung in der Industrie – beispielsweise um Hilfsroboter zu befehligen – gibt es jedoch nur in Testumgebungen, da erst in den kommenden Monaten Vokabular und Aktionen für professionelle Anwendungen implementiert werden. Oder Patienten konsultieren heute zuerst das Internet, bevor sie mit ihrer vorgefertigten Diagnose und der gewünschten Behandlungsform beim Arzt vorsprechen – während die vernetzte, durch Künstliche Intelligenz KI unterstützte Arztpraxis noch Utopie ist. Dieses Beispiel zeigt die Problematik exemplarisch auf: zwar demokratisiert sich das Verhältnis zum Arzt, doch ist die Gesundheit ein viel zu komplexes Thema, um es nur mit ein paar Klicks behandeln zu können – vorerst zumindest noch.
Der aktuelle sozio-technologische Wandel zeichnet sich ganz besonders durch dessen Geschwindigkeit aus. So vergingen etwa 38 Jahre, bis 50 Millionen Menschen weltweit über ein Radio verfügten, beim Fernseher waren es noch 22 Jahre. Nach nur 7 Jahren hatten 50 Millionen Menschen Zugang zum Internet und nach gerade einmal 2 Jahren hatte dieselbe Anzahl Menschen einen Facebook-Account. Die letzten beiden Entwicklungen sind zwar ebenfalls technischen Ursprungs, wirken aber sehr viel tiefgreifender auf Mensch und Gesellschaft, als alles davor.
Die Schnelligkeit, mit der Entwicklungen – egal ob Produkt, Dienstleistung, oder Hard- bzw. Software – eingeführt werden, ist heute entscheidend. Durchgreifend und schnell ist auch die Wirkung in der und auf die Gesellschaft. Noch vor 20 Jahren musste man an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit in die Dorf-Gaststätte gehen, um mit seinem Umfeld in Kontakt treten zu können. Dies hat sich komplett gewandelt. Besonders jüngere Menschen stehen heute regelmäßig mit ihrem Umfeld in Kontakt. Anders, als einige Experten versuchen zu vermitteln, verfügen viele junge Menschen dank Facebook & Co. über mehr und intensiver gelebte soziale Kontakte, also über einen größeren Freundes- und Bekanntenkreis, stehen mit diesem ein Vielfaches öfter und in der Summe länger in Kontakt, und unternehmen auch viel mehr mit diesen Menschen an ganz verschiedenen Orten – mehr als jemals zuvor. Damit gehen natürlich auch neue Probleme einher, Cyber-Mobbing ist dabei nur eines, wenn auch ein großes. Selbst ältere Menschen, namentlich Großeltern, nutzen Social Media, um den sonst seltenen Kontakt zu den Enkeln zu intensivieren und zu pflegen.
Das Glasfasernetz ist das Paradebeispiel zum Thema Geschwindigkeit – oder besser der Langsamkeit. Das zögerliche Verhalten in Sachen Digitalisierung der Bundesregierung, aber ebenso der Telekomindustrie und Unternehmen, bringt das Land deutlich ins Hintertreffen – und es muss die Frage gestellt werden, ob ein auszubauendes Glasfasernetz heute überhaupt noch die richtige Lösung ist. Denn ein Glasfasernetz mit möglichst feiner Verteilung ist ein ziemlich altes und zudem sehr teures Konzept, das von Woche zu Woche weniger sinnvoll erscheint. Deutschland hat mehr als 10 Jahre verschlafen, was sich gnadenlos rächt.
Die Diskussion um das Glasfasernetz verläuft zurzeit völlig eindimensional, denn dessen Notwendigkeit wird als gegeben betrachtet. Doch warum? Schon heute befinden sich weltweit deutlich mehr mobile Geräte im Internet, als stationäre Rechner. Natürlich brauchen Firmen und Datenverteilpunkte leistungsfähige Internetanbindungen und diese werden sinnvollerweise über ein Glasfasernetz sichergestellt. Wenn aber über die kommenden fünf Jahre hinaus geschaut wird, dann stellt sich nicht die Frage nach einem in jedes Gebäude führendes, fein verteiltes Glasfasernetz, sondern jene nach einer leistungsfähigen, flächendeckend zur Verfügung stehenden Mobilfunktechnologie. Hier scheint der sozio-technologische Wandel die Bundesregierung schon wieder zu überholen. Denn neue Dienste setzen auf das Smartphone als zentrales Funktionselement, wie beispielsweise Fernsehen im/mit dem Smartphone und einer „Übertragungsfunktion“ auf das große Heim-TV-Display. Solche Dienste beginnen oft über W-LAN, migrieren dann aber bald in die reine Mobilfunktechnologie: In der Schweiz können Kunden der Swisscom schon seit vielen Jahren über Mobilfunk auf Tablet und Smartphone fernsehen, was durch die Mobilfunk-Internetflat schon damals sinnvoll machbar wurde.
In Deutschland aber liegen die Preise der Mobilfunkanbieter im Vergleich zum direkten Ausland wie beispielsweise Frankreich auf geradezu fürstlicher Höhe. Die Leistungen hingegen sind derart mager, dass selbst ein so altes Konzept wie TV über Mobilfunk in Deutschland für die allermeisten Kunden Utopie bleiben wird. Neben der Telekomindustrie und ihrer übermäßigen Gewinnmaximierung muss sich auch die Bundesregierung an der Nase nehmen: Sie fordert von den Telekomanbietern beispielsweise bei 5G exorbitante Lizenzkosten, was den finanziellen Spielraum und ganz besonders den Willen das Mobilfunknetz tatsächlich flächendeckend auszubauen stark einschränkt. Diese Ränkespiele bringen nur Verzögerungen und Verlierer. Doch dafür gibt es schlicht nicht genügend Zeit, denn gemäß Seizo Onoe, CTO der NTT DoCoMo, ist mit dem neuen 6G-Netz in Japan bereits um 2030 zu rechnen. Die Geschwindigkeit des Wandels nimmt zu und das lässt sich nicht beeinflussen, diese Erkenntnis scheint in der Regierung noch nicht wirklich angekommen sein.
Nun, ob die Bundesregierung und die Unternehmen wollen oder nicht, der sozio-technologische Wandel findet statt und zwar schnell. Einen der größten Fehler, den viele Beteiligte machen, liegt in der Konzentration auf die Digitalisierung und dann noch auf den Erhalt bzw. den Ersatz allenfalls wegfallender Arbeitsstellen. Das greift zu kurz, sehr viel zu kurz.
Auf den ersten Blick mag es stimmen, dass durch die Digitalisierung Arbeitsstellen obsolet werden, was auch der Philosoph und Publizist Richard David Precht mit deutlichen Worten anprangert. Jedoch hat jeder bisherige Wandel immer viel neue Arbeit hervorgebracht. Auch der aktuelle Wandel hat schon Arbeitsstellen gekostet, aber schon deutlich mehr Arbeit geschaffen. Arbeit, die zuvor oft nicht absehbar gewesen war. So entstehen beispielsweise durch die Kombination von Technologien und Funktionen neue Leistungen und Produkte, die wiederum Arbeit generieren.
Ob aus dieser Arbeit tatsächlich irgendwann Arbeitsstellen werden, ist vielfach unklar. Darum erscheint es immens wichtig zwischen „Arbeit“ und „Arbeitsstellen“ zu unterscheiden. Diese Unterscheidung zwischen der tatsächlichen, physischen Aufgabe bzw. Arbeit (die durch Menschen und/oder Maschinen ausgeführt werden kann) und der Arbeitsstelle fällt, wie wir erkennen mussten, den meisten Politikern äußerst schwer. Eine Arbeitsstelle ist prinzipiell nur ein rechtliches Konstrukt, ein Vertrag oder Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Während Arbeit und Aufgaben konkret sind, ist die Arbeitsstelle einzig und allein eine gegenseitige Absichtserklärung. Es liegt in der Natur von Verträgen, dass diese mehrheitlich fix sind – darauf baut das gegenseitige Vertrauen auf, sie sind die Basis für Sicherheit und Wohlstand.
Nun gibt es künftig immer mehr Aufgaben und Arbeiten, welche nicht in eine Arbeitsstelle münden. Oder aber notwendige Arbeiten sind in der Arbeitsstelle (dem Vertrag) nicht beinhaltet. Für solche Arbeiten muss eine Art Entschädigung „erfunden“ werden. Als prominentes Beispiel bietet die Wikipedia Stiftung zwar knapp 300 Arbeitsstellen, aber der größte Teil der Arbeit und Aufgaben wird von den über 70'000 aktiven ehrenamtlichen, freien Mitarbeitern geleistet. Was hier nur deshalb funktioniert und akzeptiert wird, weil es ein Dienst an der Weltgesellschaft ist. Journalisten ergeht es ähnlich, aber deren Situation liegt anders. Sie stehen ebenfalls vor ungewissen Zeiten, da ihre im Internet veröffentlichten Arbeiten zwar geschätzt und gelesen, aber kaum entschädigt werden. Hinzu kommt die Vielzahl der Arbeitgeber, welche zwar (oft vage umschriebene) Arbeitsstellen anbieten, deren Arbeitsumfang aber weit über das hinausgeht, was entweder vertraglich oder im Rahmen der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit überhaupt machbar ist. Was beispielsweise bei den Lehr- und Pflegeberufen üblich, aber auch vom Management bis hin zu den Lastwagen-Chauffeuren immer öfter zu sehen ist. Das Abarbeiten der E-Mails während der Freizeit gehört ebenso dazu, wie die aus finanziellen Überlegungen chronische Unterbesetzung unzähliger Kitas und das Entladen des Lastwagens während der Arbeitspausen – es gibt kaum mehr Berufe in denen nur die vertraglich für die Arbeitsstelle vereinbarte Arbeit geleistet wird.
Diesen fixen Verträgen steht also eine immer dynamischer werdende Welt der Arbeit und Aufgaben gegenüber. Die Komplexität ergibt sich nicht nur aus den Themen selber, sie wird durch die unterschiedliche Wahrnehmung in der Bevölkerung, sowie der rasanten Entwicklung der Gesellschaft und deren Altersklassen nochmals vergrößert. Um beim Beispiel E-Mail zu bleiben: einige Arbeitnehmer wollen keine E-Mails in der Freizeit lesen, weil sie dies belastet. Das haben die Gewerkschaften aufgenommen und teilweise schon umgesetzt – mit äußerst zweifelhaftem Erfolg. Im globalen Kontext, mit Zeitverschiebung und verschobenen Wochenendtagen sowie der geforderten Reaktionsgeschwindigkeit kommen jene Personen in große Probleme, für die der Zugriff auf E-Mails essentiell ist. Und dann sind noch die jungen Berufstätigen, für die es normal und eine Erleichterung ist, jederzeit auf alle Informationen zugreifen und darauf reagieren zu können – privat und geschäftlich. Denn immer mehr junge Menschen streben nach einer dynamischen Gesamtbalance im Leben, während die älteren Generationen noch auf einer strikten Trennung in eine Work-Life-Balance beharren.
Diese Dynamik trifft auf ein Wirtschaftssystem, das sich noch überhaupt nicht auf den laufenden sozio-technologischen Wandel vorbereitet hat. Es erscheint logisch, dass das Wirtschaftssystem dem rasanten Wandel folgen sollte. Allerdings sind keinerlei Ambitionen bei irgendwelchen Exponenten zu erkennen, diesen Wandel im Wirtschaftssystem anzugehen. Nicht einmal bei den Gewerkschaften, die dieses eigentlich ganz besonders interessieren müsste – auch sie scheinen sich nur bedingt dafür zu interessieren, dass der technologische Wandel einen gewaltigen soziologischen Wandel mit sich bringt.
Die Frage nach Lösungen ist mehr als berechtigt. Ebenso wichtig ist zu erkennen, dass die Gesellschaft die umzusetzenden Lösungen und tiefgreifenden Änderungen weder einfach so verstehen kann, noch annehmen wird. Es wäre längst die Zeit für behutsame Anpassungen, die nicht nur akzeptiert sondern allenfalls gar interessiert angenommen würden. Doch wie schon seit Jahrzehnten ist die deutsche Bundesregierung vor allem eine Wirtschaftsregierung mit einer allesbestimmenden Wirtschaftspolitik, welche die meisten komplementären Bereiche bewusst ausblendet. Das rächt sich jetzt mit einer hohen Intensität, beispielsweise im Gesundheitssektor: die völlig verfehlte Politik hat dazu geführt, dass der Markt für Pflegekräfte „wie leergefegt ist“ – eine Erkenntnis, die schon 2017 von den betroffenen Kliniken und Heimen angemahnt wurde. Jedoch ohne irgendeine Reaktion bei der Regierung erreichen zu können. Und der Gesundheitsminister Jens Spahn ergießt sich lieber in beißend arroganten, geringschätzigen Äußerungen zu anderen Themen aus anderen Ressorts, obwohl er gerade in seinem Gesundheitsministerium mehr als genug zu tun hätte.
Evident ist, dass die Themengruppe Arbeit/Aufgabe, Arbeitsstelle, Zeit und Lohn vertieft betrachtet werden muss. Künftig wird die für eine Arbeit oder Aufgabe aufgewendete Zeit immer weniger als Maßstab heran gezogen werden können. Denn Maschinen werden immer mehr Arbeit und Aufgaben übernehmen (ganz besonders jene mit hohem Zeiteinsatz und jene zum Erreichen von Quantitäten), dann müssen sich Regierung, Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaft folglich in Richtung Qualität orientieren. Das heißt im Umkehrschluss, dass künftig vor allem Arbeiten mit hohen kreativen Anteilen und singulären, sozialen und nicht roboterisierbaren Aufgaben eine Zukunft haben werden. Und diese werden gerade dank der neuen Technologien und Möglichkeiten immer mehr. Das mag etwas vage klingen. Doch vor 20 respektive 80 Jahren hätte kaum jemand erwartet, dass Social Media Manager für Firmen respektive Late-Night-Show-Moderator am Fernsehen überhaupt eine Arbeit, geschweige denn eine Arbeitsstelle sein könnten. Ein weiteres Phänomen des sozio-technologischen Wandels ist das Reshoring. Es ist das Gegenteil zum Offshoring bzw. Outsourcing und bedeutet, dass zuvor ausgelagerte Arbeiten wieder zurück in das Ursprungsland (Ursprungsfirma) gebracht werden. Dies geht einher mit Industrie 4.0 und IoT und sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Das bedeutet, dass quantitative Arbeit zurückkommt, anspruchsvoller wird, was aber nur mit dem gleichzeitigen Sicherstellen der damit verbundenen qualitativen Aufgaben erfolgreich geschehen kann.
Doch was geschieht mit jenen Menschen, die besonders gut mit ihren Händen und gerne draußen arbeiten? Denen der Stuhl vor einem Bürotisch und Computerdisplay Unbehagen einflößt und deren Fähigkeiten im Manuellen liegen? Was nie weg fallen wird, ist der Bedarf an gut ausgebildeten Handwerkern. Denn egal ob verstopftes WC, neues Haus, Büsche im Park oder so vieles anderes, viele Arten des Handwerks mit ihren Arbeiten und Aufgaben werden auch mittelfristig nicht durch Robotik ersetzt werden können. Natürlich wird ein hochbezahlter Maschinist in der Automobilindustrie keine Altbausanierung machen wollen. Doch sobald die Bezahlung dieser Aufgabe entsprechend jener für die bisherige Arbeit sein würde, dann sähe die Welt für viele Menschen anders aus.
Damit dies möglich wird, kommt das Gespräch aktuell oft auf die verschiedenen Arten des Grundeinkommens, auch Richard David Precht votiert dafür. Die CNT Alliance sieht das Bedingungslose Grundeinkommens und ganz besonders das Soziale Grundeinkommen durchaus kritisch. Nicht, weil die Kosten zu hoch wären, Geld ist mehr als genug vorhanden. Zuerst einmal wäre deren Einführung alles andere, als eine behutsame Anpassung. Auch ist die deutsche Bevölkerung heute mehrheitlich darauf aus, Vorteile für sich zu nutzen – ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, wie diese Vorteilnahme in irgendeiner Form der Gesellschaft zurückzugeben werden könnte. Dann ist der Sozialneid in Deutschland besonders ausgeprägt und große Teile der Bevölkerung würden die Bezüger eines Grundeinkommens gemäß unserer Erhebungen als „minderwertig“ und „arbeitsscheu“ einordnen und damit stigmatisieren – wobei der Sozialneid auch daraus entsteht, dass diese Menschen scheinbar mehr Freiheiten haben. Wohnen diese ausgegrenzten, gebrandmarkten Menschen dann auch noch in eigens für sie gebaute Sozialwohnungen, entstünden echte Ghettos – der perfekte Nährboden für Radikalisierungen und Terrorismus, rechts wie links wie religiös. Die Banlieues in Frankreich, mit deren Gewaltstrukturen in Kombination mit der Unfähigkeit der französischen Regierung diese zu kontrollieren, lassen grüßen.
Dann ist gerade das Soziale Grundeinkommen eine perfide Mogelpackung, denn so würde tatsächlich nur ein weiterer Niedriglohnsektor geschaffen. Deutschland ist heute das einzige Europäische Land, das mit den 450€-Jobs vor Jahren einen neuen Niedriglohnsektor allein zugunsten der Wirtschaft geschaffen hatte – während alle umliegenden Länder den gesellschaftsschädigenden Niedriglohnsektor abbauen (wollen). Die aktuellen Probleme bei Hartz IV und in der Rente – gerade auch für die Frauen aus Niedriglohn-Berufen – sollten Warnung genug sein, das Thema Grundeinkommen massiv weiter zu entwickeln. Vor allem aber deutlich intelligenter zu machen, als die heute vorliegenden ersten Vorschläge.
Nicht mehr und nicht weniger steht uns bevor, auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Nicht gerade hilfreich ist, dass die Exponenten der Wirtschaftswissenschaften sich mit ihren vielfach verfehlten Prognosen und wiederholt falschen Themenschwerpunkten Vertrauen verspielt haben. Je länger, je intensiver werden sie mit Sachverhalten konfrontiert, die sich nicht mit den Konzepten aus den alten Büchern regeln lassen. Gerade die Wirtschaftswissenschafter müssten jedoch für eine Auffrischung sorgen, müssten selber aktiv werden und innovativ voran gehen.
Trifft das beschriebene Phänomen nur auf Deutschland zu? Mitnichten. In Italien, das wir im Mai 2018 besucht haben, liegen die Probleme etwas anders, sind aber noch gravierender. Dort ist die (digitale) Infrastruktur zwar etwas weiter entwickelt, aber dennoch nicht ausreichend, zumal eine Stagnation in der Entwicklung festzustellen ist. Italien wird von seinem destruktiven Niedriglohnsektor stark eingebremst. Der Fachkräftemangel ist gerade wegen der katastrophalen Lohnsituation ein Problem, gute Fachkräfte gehen lieber ins nahe Ausland. Italien wird gerade deswegen in der Digitalisierung seine noch vorhandene Konkurrenzfähigkeit verlieren, die Probleme in der Gesellschaft haben alarmierend hohe Spannungen aufgebaut und die noch immer nicht zusammengestellte Regierung vermittelt wenig Kompetenz, diese Themen überhaupt nur schon zu verstehen. Und Großbritannien, das sich gerade durch den Brexit quält, hat zwar in vielen Aspekten der Digitalisierung – wie der Vernetzung – die Hausaufgaben gut erledigt. Doch die Integration der digitalen Technologien ist noch kaum fortgeschritten und die Zukunft ist gerade wegen des Brexits unklar. Der Komplexität der Herausforderungen scheinen die meisten Europäischen Regierungen, die Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaften etwas hilflos gegenüber zu stehen. Obwohl es anzustreben wäre und gerade die EU die Voraussetzungen dafür bieten würde, ist gemeinschaftliches und interdisziplinäres Denken und Handeln auf den unterschiedlichen Ebenen nicht einmal im Ansatz zu erkennen.
Beobachtungen deuten auf mögliche „Grassroot-Movements“ hin, der Bewegungen von unten nach oben, so wie der sozio-technologische Wandel selbst. Also eine (Welt-) Gesellschaft, die ihr Schicksal in die eigene Hände nimmt – auch wenn solche Bewegungen nur die Verantwortlichen an ihre Aufgaben erinnern können. Und diese sollten jetzt aktiv werden, denn nur eines wäre fatal: nichts zu tun und darauf zu hoffen, dass die alten Konzepte vielleicht doch noch funktionieren.
Sie werden es nicht.