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Elektroauto – mehr als nur ein neuer Antrieb

Artikel von Nicolas Böhmer verfasst für und zuerst erschienen bei Climate Tech am 18. Januar 2021

Mittlerweile haben auch die deutschen Hersteller und Käufer*innen verstanden, dass das batterieelektrische Auto die Zukunft sein wird – und vielerorts schon ist: in Norwegen machen sie deutlich über die Hälfte der Zulassungen aus, aber auch in Deutschland wurden 2020 über 194'000 Fahrzeuge mit Elektroantrieb zugelassen, trotz Pandemie.

Auch wegen ihrer viel besseren CO2-Gesamtbilanz sind die eAutos die Zukunft. Dennoch steht ein Elektroauto genauso im Stau, braucht genauso viel Platz wie jedes andere Auto, wird am Tag nur wenig genutzt und die Kosten sind, obwohl deutlich niedriger, eine Belastung für das Budget. Wirklich nachhaltig ist das nicht, weder ökologisch noch ökonomisch – und auch gesellschaftlich nicht.

Daher sollte das Elektroauto viel umfassender gedacht werden. In der Digitalisierung beispielsweise ist es wenig sinnhaft, die analogen Prozesse einfach nur digital abzubilden – da würden (und werden) viele Chancen verschenkt. Gleiches gilt für das Elektroauto: den 1:1-Ersatz bisheriger Fahrzeuge anzustreben ist nicht einmal halb gedacht, auch wenn es aktuell funktionieren mag. Ein Wandel zur Digitalisierung wird erst dann zu einem Erfolg, wenn er weit greift, neue Ideen bringt und neue Wege eröffnet, möglicherweise gar systemumfassend ist und die Zukunft gestaltet. Die Elektromobilität ist auch so zu betrachten.

Die Entwicklung der Rahmenbedingungen geben hierzu eindeutige Indizien. Eine steigende Anzahl Städte weltweit strebt nach besserer Lebensqualität, einer fairen Verteilung des allgemeinen Raumes und der Verbesserung der Mobilität für alle Menschen in der Stadt. Das Auto wird hinterfragt und das nicht nur, weil es Abgase emittiert. Auch losgelöst vom Antriebskonzept brauchen Autos viel Platz, wenn sie in Bewegung sind ebenso, wie im Stand. Da hilft es nicht wirklich, dass zudem immer größere, schwerere, ineffizientere und unfalltreibende Fahrzeuge in die Stadt drängen.

Die Niederlande und Dänemark, besonders Kopenhagen, Madrid und Birmingham zeigen neue Wege auf und sind teils oder ganz autofrei. Für manche Europäer*innen überraschend: im Autoland USA hatten 2019 schon 364 Städte autofreie Zonen und Zentren, dazu neue sowie verbesserte Radwege und erweiterte Fußgängerzonen. Die Umsätze des Einzelhandels in diesen Bereichen sind deutlich gestiegen, je nach Stadt und Quartier bis zu 50%. Was aus wirtschaftlicher Betrachtung wichtig erscheint bedeutet für die Menschen in der Stadt mehr Lebensqualität – egal ob sie dort wohnen, einkaufen, zur Schule gehen, Events besuchen oder einfach nur flanieren. Große Unternehmen bzw. Konzerne verlegen sogar ihre Geschäftssitze in das für die Arbeitenden angenehme Umfeld: Birmingham beispielsweise konnte Deutsche Bank, HSBC und KPMG in die Stadt holen.

Zahlreiche Studien auch aus Deutschland belegen, dass weniger Autos und die Fokussierung auf den Langsamverkehr – Rad, zu Fuß und bald auch autonom langsam fahrende Kleinbusse (People-Mover) – die Lebensqualität deutlich steigert und sich auf die Wirtschaft der Städte positiv auswirkt. Doch es braucht dazu zahlreiche weitere Aktivitäten und Aspekte wie beispielsweise saubere, gut beleuchtete und gefahrenfreie Stadtgebiete, ein vielfältiges und kundenorientiertes Angebot beim öffentlichen Verkehr, ergänzende Mobilitätsangeboten und noch viel mehr. Da gibt es großes Entwicklungspotenzial.

Und der CO2-Austoß wird trotz der gesteigerten Aktivitäten deutlich gesenkt. Gerade auch, weil verschiedene ClimateTech, CleanTech und GreenTech Entwicklungen diesen neuen Lebensstil unterstützen und nachhaltiger machen – in der Stadt, aber in angepasster Form auch auf dem Land. Dieser Wandel eröffnet ein weites Feld für kreative Köpfe und innovative Ideen. Denn mit den eAutos, eMobilität, Steigerung der Lebensqualität etc. kommen Technologien und Infrastruktur, welche die Grenzen des Automobils weit überschreiten. Schon für das Laden kommen unterschiedliche Ladelösungen zum Einsatz, solo oder vernetzt, mit eigener Energieproduktion (Photovoltaik), und der Logik folgend durch Batteriespeicher ergänzt. Hinzu kommen ein balanciertes Netz in Gebäuden bis hin zu Smart-Grids und somit (Teil-) Autarkie von Gebäuden, Firmen, Quartieren oder gar ganzen Ortschaften.

In diesem Zusammenhang zeichnet sich ein weiterer Wandel ab: Die Disruption im Energiesektor. Ähnlich wie in der Autoindustrie haben wir es hier mit großen Konzernen zu tun, welche einerseits auf Kosten von Umwelt und Gesellschaft hohe Gewinne einstreichen, andererseits in einer veralteten Struktur mit mehrheitlich archaischen Technologien tätig sind und ein gering ausgeprägtes Dienstleistungsverständnis haben. Das kann man beispielsweise daran erkennen, dass einige Energiekonzerne liebend gerne Kunden blockieren wollen, wenn sie ihr Elektroauto nicht in jenem Zeitfester laden, welches den Konzernen am besten passt. Das ist die Umkehrung des Dienstleistungsprinzips: die Kunden sollen sich nach den Konzernen richten und den Konsum den Bedingungen der Großkraftwerke anpassen. Das funktioniert nicht einmal in einer Planwirtschaft und es ist ein Unding in der heutigen Zeit. Jetzt rächt es sich, dass die Konzerne dezentrale Stromerzeugung seit Anbeginn behindert haben. Doch genau darin liegt die Lösung für das Problem, welches typisch ist für zentrale Großkraftwerke und Stromverteilung: dezentrale Stromproduktion, SmartGrid, MicroGrids, teil-autarke Ortschaften, Strom-Speichertechnologien und mehr.

Genau wie die Energiekonzerne mehrheitlich noch nicht auf die kommende Disruption vorbereitet sind und vor allem ihre Kraftwerke auslasten möchten, gehen viele Autohersteller und Autoexperten davon aus, dass sie künftig mindestens so viele eAutos verkaufen werden, wie sie heute Verbrenner verkaufen. Die Industrie definiert sich vor allem über die Anzahl verkaufter Fahrzeuge. Aber dem Schwelgen in Millionen-Absätzen steht gegenüber, dass sich lokal, regional, über Länder hinweg und weltweit vernetzt Initiativen und Organisationen zusammengefunden haben, um die Zukunft der Mobilität neu zu gestalten.

Bei beiden Disruptionen liegt die Herausforderung darin, das Gesamtsystem zu erkennen, zu verstehen und die notwendigen Entscheidungen für das eigene Unternehmen, StartUp oder Organisation zu treffen. Da viele traditionsreiche Unternehmen – wie Zulieferer oder Netzbetreiber – wenig innovationsbereit sind, bestehen gute Chancen für neue Firmen und StartUps in den Markt einzutreten und mit neuen Ideen für Impulse bei Technologien, Steuerungen und Dienstleistungen zu sorgen. Doch der Eintritt in beide Märkte gleicht einem Marathon im Hochgebirge.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass die bestehenden Firmen nur dann überleben werden, wenn sie den Markt und die Einflussgrößen grundlegend analysieren, Entwicklungen und unterschiedliche Auswirkungen antizipieren, daraus eine Vision und Strategien entwickeln und dann auch noch innovieren. Die Praxis hat gezeigt, dass die Führungspersonen fast nur evolutionäre Strategie betreiben mussten: Marktanteile sowie Umsatz sichern und steigern. Zur Zukunftsgestaltung braucht es hingegen Innovatoren und gerade das Führungspersonal muss dies erkennen, erlernen und dann im Unternehmen entwickeln. Die Praxis offenbart jedoch, dass dies, obwohl offensichtlich und notwendig, zu selten gemacht wird. Bestes Beispiel sind die deutlich ins Hintertreffen geratenen deutschen Autohersteller. Was StartUps und jungen Unternehmen eine Chance gibt, mit deren klaren Vision zu Markt, Geschäft, Klima, Umwelt, Gesellschaft in Kombination mit der Innovationskraft, Flexibilität und Angstfreiheit diese Themen neu zu interpretieren, zu besetzen und zu reüssieren. Und darunter hat es auch deutsche Unternehmen, was mich positiv stimmt.


Nächster Schritt:

Informationen zum kostenfreien Erstgespräch zur Unterstützung und Begleitung von Führungspersonen einfach per E-Mail.



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